Wie bitte? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Sind Engel nicht immer hell dargestellt? Und selbst wenn man mit diesen geflügelten Wesen so seine Schwierigkeiten hat: denken wir bei Engeln nicht automatisch an Wesen, die Licht ins Leben bringen? Die helfen, beschützen, befreien? Ein dunkler Engel dagegen wirkt bedrohlich, angsteinflößend, nicht vertrauenswürdig.

In einer Phase, in der mir schmerzlich und unentrinnbar bewusst wurde, dass mein bisheriges Lebensgebäude nicht zu retten war, schickte mir jemand das Gedicht vom dunklen Engel. Zunächst rebellierte ich dagegen. War ich doch seit Monaten damit beschäftigt, meinen „dunklen Engel“ sehr energisch und unfreundlich ganz weit wegzuschicken. Ich empfand das Gedicht als Zumutung! Doch nach und nach entfaltete es seine Wirkung, weil ich ganz zaghaft anfing, meine Situation aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Ich bin der Autorin Almut Haneberg sehr dankbar, dass sie mir die Erlaubnis gegeben hat, das Gedicht hier zu veröffentlichen und hoffe, dass es dadurch auch anderen, die durch ähnliche Krisen gehen müssen, zur Hilfe und Ermutigung werden kann.

Der dunkle Engel

schick den
dunklen engel
nicht weg

er sagt dir
eine vergessene botschaft
ins herz

empfange ihn freundlich
er ist wegweiser
vom überleben
zur lebendigkeit

hör genau zu
sei ganz wach
er gibt sein geheimnis
nur selten preis

er benennt dir
schmerz und glück
deiner geschichte
offenbart dir
todesangst und rettung
und öffnet dir die sinne
für begrabene sehnsucht
und verschüttete quellen

er bringt mauern
zum bröckeln
hinter denen
dein neuland lockt

lass dir zeit
für den austausch mit ihm
und nimm dir raum
seine worte wirken zu lassen

irgendwann
wirst du entdecken
dass euer gespräch
menschwerdung
gemeint hat

copyright: Almut Haneberg